Künstliche Intelligenz ist besser als natürliche Dummheit
Impressionen vom EDV-Gerichtstag 2018
Heute ist der 27. EDV-Gerichtstag zu Ende gegangen. Das diesjährige Motto: „Rechtspraxis digital: Probleme bewältigen – Zukunft gestalten.“
Bild links: Statement des Ministerpräsidenten des Saarlandes, Tobias Hans, zur Eröffnung des EDV-Gerichtstages 2018
Traditionell wird der EDV-Gerichtstag jedes Jahr an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken vom gleichnamigen Verein mit Unterstützung von juris und anderen Sponsoren ausgerichtet. Er versteht sich als Plattform für den Erfahrungsaustausch von Juristen über die Einsatzmöglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung in der Rechtspflege. Schwerpunkte sind dabei IT-Lösungen für den Arbeitsplatz sowie der elektronische Rechtsverkehr. Außerdem soll die Zusammenarbeit zwischen Juristen und Informatikern gestärkt werden; dazu werden Kontakte zu verwandten Organisationen gepflegt wie beispielsweise der Gesellschaft für Informatik.
Dass diese Idee trägt, beweist nicht nur die nunmehr 27-jährige Geschichte des EDV-Gerichtstags, sondern in diesem Jahr auch die beeindruckende Zahl von 900 Teilnehmerinnen und Teilnehmern – ein neuer Rekord.
Mit diesem Blogbeitrag möchte ich ein paar Streiflichter auf das diesjährige Programm werfen, das mir gegenüber den letzten Jahren wieder vielseitiger und spannender erschien.
Blockchain und Smart Contracts
Auf Basis der Blockchain-Technologie lassen sich neue Applikationen entwickeln und neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Sicherheit vor Manipulation und Korruption mittels Verschlüsselung und Zugriffsverwaltung, mehr Transparenz, Kostenreduzierung durch effektivere Prozesse und bessere Datenverfügbarkeit – diese Vorteile der Blockchain bieten Ansätze zu vielen Anwendungsfeldern in Unternehmen und Behörden. So und ähnlich klingen die Versprechungen von Beratern und Softwarehäusern, wenn es um The next big thing geht.
Berufsbedingt kritischer betrachtet wurde das Thema von der Mathematikerin Sarah Maßberg, Blockchain-Experin beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Sie zeigte Grenzen und Risiken der Technologie auf und mahnte, abhängig vom jeweiligen Einsatzbereich, Blockchains sicher zu gestalten. Ihr Eckpunktepapier zu dem Thema ist online abrufbar.
Dominik Gassen, Notar aus Bonn, Blockchain-Experte des Deutschen Notarvereins und Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Neue Technologien“ beim Rat der Europäischen Notare (CNUE), ging der bewusst provokant formulierten Frage nach: „Vertrauen wir uns nicht mehr selbst?“ Dabei beleuchtete er Machbarkeit, Sinnhaftigkeit und Mehrwert von Blockchain-Anwendungen im notariellen Umfeld insbesondere bei Grundbuch und Handelsregister. „Ob Blockchain mittelfristig für so komplexe und vielgestaltige Transaktionen wie Grundstückskaufverträge eingesetzt werden kann, darf bezweifelt werden. Aktuell scheint ein Einsatz eher bei einfacheren, standardisierten Online-Transaktionen zweckmäßig.“, so sein Statement. Damit leitete er über zu weiteren Anwendungsfeldern, die bislang weniger im Lichte der Öffentlichkeit standen, in der Praxis jedoch von hoher Bedeutung sind: Vollstreckungstitel und Vollmachtsnachweise im digitalen Medium. Er erläuterte seine Vorstellung davon, wie man die Unikatsfunktion papiergebundener Urkunden digital umsetzen könnte.
Neues von der E-Akte
Die elektronische Aktenführung in der Justizlandschaft Deutschlands wird von den drei Projekten e2A, eIP und eAS vorangetrieben. Ein kurzes Abkürzungs-Glossar: e2A steht für „ergonomischer elektronischer Arbeitsplatz“ (Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Saarland und Sachsen-Anhalt), eIP für „elektronisches Integrationsportal“ (Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz) und eAS für „E‑Akte als Service“ (Baden-Württemberg, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen).
Alle drei Systeme befinden sich derzeit in ersten Pilotierungen. Bis zur flächendeckenden papierlosen E-Akte gibt es bei allen Dreien noch so einiges zu tun. Und die Zeit läuft, denn die Deadline steht schließlich fest: Laut Gesetzgeber ist die Einführung der E‑Akte ab dem 1. Januar 2026 verpflichtend. Dann müssen alle Verfahren elektronisch geführt werden.
Obwohl konkurrierend, wurden die aktuellen Entwicklungen zu den jeweiligen Projekten von den Verantwortlichen gemeinsam vorgestellt. Das kam gut an beim Publikum, zumal erkennbar wurde, dass es die Akteure offenbar ernst meinen mit gemeinsamen Standards und Schnittstellen, die im Bedarfsfall auch einen systemübergreifenden deutschlandweiten Austausch ermöglichen sollen.
KI, Deep Learning und das Recht
Wer beim Lesen dieser Überschrift nur Bahnhof versteht, könnte nach den Vorträgen der Referenten mit den Begriffen schon etwas mehr anfangen. Zudem würde ihr oder ihm dämmern, was mit der Künstlichen Intelligenz (KI) und deren Anwendungsmöglichkeiten noch auf uns Alle im Allgemeinen und uns Juristen im Besonderen zukommen kann.
Jörn Erbguth, Diplom-Informatiker und Diplom-Jurist, freiberuflicher Berater und Lehrbeauftragter an verschiedenen Schweizer Universitäten, stellte eine der aktuell populärsten KI-Techniken vor: Deep Learning. Damit lassen sich immer komplexere Probleme lösen. Doch welche Auswirkungen hat es, wenn statt klarer Regeln große Mengen an Beispielen die Grundlage zur Entwicklung solcher Systeme bildet? Mit einer konkreten Demonstration veranschaulichte Erbguth die Tücken von Deep-Learning-Systemen und deren Folgen: von Diskriminierung bis hin zum Komplettversagen in Einzelfällen sowie eine neue Angreifbarkeit derartiger Systeme.
Ramak Molavi, Rechtsanwältin bei iRights Law und Policy Advisor beim unabhängigen Think Tank iRights Lab in Berlin, lenkte ihr Augenmerk auf die exponentiellen Fortentwicklungen in den verschiedenen KI-Bereichen, die entsprechend auch zunehmend viele Fragen im regulatorischen Bereich aufwerfen. Sie gab einen Überblick über die Herausforderungen der Regulierung von KI und stellte nationale und internationale Diskussionen zu Aspekten der Ethik und Konzepte der Implementierung dieser Grundsätze bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz vor.
Georg Borges, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Rechtsinformatik, deutsches und internationales Wirtschaftsrecht sowie Rechtstheorie und geschäftsführender Direktor des Instituts für Rechtsinformatik an der Universität des Saarlandes, thematisierte ein Kernproblem des Algorithm Decision Management (ADI), nämlich die Frage, wie Fehler algorithmischer Entscheidungen rechtlich adressiert und festgestellt werden können. Zu diesem Thema hat die Gesellschaft für Informatik eine interdisziplinäre Studie für den Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim BMJV erstellt, an der Borges mitgearbeitet hat. Das Thema ist mehr als aktuell, da ADI-Systeme bereits heute beispielsweise bei der Ermittlung von Kreditwürdigkeit im Bank- oder bei Risikoprognosen im Versicherungswesen zum Einsatz kommen.
Und sonst?
Zu nennen wären da noch Themen wie das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), effiziente Verfahrensgestaltung mittels Videoverhandlungen, Hassmails im Internet, IT-basierte Strategien zur Strukturierung des Parteivortrags, Legal Tech und einige andere.
Bild links: Prof. Dr. rer. nat. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster, Keynote Speaker des EDV-Gerichtstages 2018
Der Spruch im Titel dieses Artikels stammt übrigens nicht von mir, sondern von der Abschlussfolie des Keynote-Sprechers des diesjährigen EDV-Gerichtstags, Wolfgang Wahlster, technisch-wissenschaftlicher Leiter und Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). Er zeigte beeindruckende Beispiele aus seinen zahlreichen Firmenneugründungen rund um KI und gab Hinweise auf verwandte juristische Anwendungsmöglichkeiten. So könnten fachkundige Ansprech“partner“ á la Alexa, Cortana, Echo und Siri demnächst Rechtssuchende vor dem Besuch einer Rechtsantragstelle briefen. Oder: Empfangsroboter weisen dem Besucher eines Gerichts den Weg zum Sitzungssaal. Oder: Abwehrdrohnen wehren in Justizvollzugsanstalten unbefugte Fremddrohnen eigenständig ab und verhindern so das auf diesem Wege beabsichtigte Einschleusen von Drogen und Waffen.
Aktuell entwickelt Wahlster ein autonomes Forschungsfahrzeug für Mercedes. Der nächste Dienstwagen für die Bundeskanzlerin?
Wahlster hat viele seiner Essays, Interviews und Vorträge online gestellt.
Die Mischung ethischer, informationstechnischer und juristischer Themen und das Aufgebot an hochkarätigen Referenten haben mir außerordentlich gut gefallen. Wer nun neugierig geworden ist und die Vermutung anstellt, sie oder er könne beim EDV-Gerichtstag nicht nur einen Blick über den eigenen Tellerrand, sondern in die Zukunft der Justiz und unsere Welt von morgen werfen, liegt damit absolut richtig und sollte sich schon jetzt den Termin für den 28. EDV-Gerichtstag notieren: 18. – 20. September 2019.
Bildquellen: EDV-Gerichtstag (2, 8, 9), Justiz Online (5), Pixabay (1, 3, 4, 6, 7)
Schlagworte: Blockchain, Deep Learning, EDV-Gerichtstag, elektronische Akte, KI
Andreas Dormann - 26.09.2018
Heute in der neuen iX (10/2018, S. 34) gelesen:
Nach einer Prognose von McKinsey Global Institute (MGI) soll der Wachstumseffekt der künstlichen Intelligenz (KI) beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2030 zusätzlich 1,2 Prozentpunkte pro Jahr betragen. Damit läge das Wachstum deutlich höher als seinerzeit bei den Dampfmaschinen (0,3 Prozentpunkte), Industrierobotern (0,4 Prozentpunkte) oder IT und Telekommunikation (0,6 Prozentpunkte). Zu diesem Schluss kommen die MGI-Forscher in ihrer Studie „Notes from the Frontier: Modeling Impact of AI on the World Economy“, in deren Rahmen 3.000 Firmen aus 14 Branchen befragt wurden. Die rund 60 Seiten umfassende Studie kann kostenlos heruntergeladen werden von https://www.mckinsey.com/featured-insights/artificial-intelligence/notes-from-the-ai-frontier-modeling-the-impact-of-ai-on-the-world-economy